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Running on empty – so what?

Dieser Artikel hat 1.075 Wörter, durchnittliche Lesezeit ca. 4 Min.

Ich bin Grafik-Designer. Im Oktober 2020 feierte ich im Pandemie-Geschehen, meinen 60-jährigen Geburtstag und mein 35-jähriges unternehmerisches Jubiläum als Soloselbständiger (inkl. rund 10 Jahren Festanstellungsverhältnis innerhalb von 35 Jahren). Seit Ausbruch der SARS-CoV-2 Pandemie gehöre ich gemäß Verordnungswortlaut der „Bazooka- und Kleinwaffen-Hilfen“ seitens der Bundesregierung, der Bedarfsgruppe der so genannten indirekt Betroffenen oder der indirekt durch Dritte Betroffenen an. Kurz geschrieben – wenn die Veranstalter im sozio-kulturellen Bereich nichts mehr veranstalten können, dann können Broterwerbler in der so genannten Kreativ-Branche wie ich, eben keine Aufträge mehr generieren, um für Veranstaltungen und andere Aktivitäten im Kultur-, sozialen Dienstleistungs- und auch im gesellschaftspolitischen Bereich zu werben. Und der Schwerpunkt meines soloselbständigen Unternehmens liegt aktuell und seit Jahren auf diesen eben genannten Schwerpunkten.

Seit einem Jahr herrscht closed shop in meinem Betrieb, obwohl ich jeden Tag geöffnet habe und von keiner betrieblichen Shutdown-Maßnahme direkt betroffen bin. Aber kein Schwein ruft mich an. Und wenn ich irgendwo anrufe, um einen Auftrag zu generieren oder mich beruflich anzubieten, dann heißt es nach wechselweise durchaus angenehmen Gesprächen während der Kalt-Akquise – toller Vorschlag, aber Corona bedingt können wir aktuell nichts Neues in Sachen Grafik-Design, Werbung, und Öffentlichkeitsarbeit beauftragen.

Im Mai 2020 erhielt ich seitens meines Altersvorsorgeprivatvermögensbildunganspardienstleisters die frohe Kunde, dass mein Ansparvolumen nach 20 Jahren nun zur Auszahlung bereitsteht. Einberechnet 10 Jahre Draghi-Null-Zins-Politik, Fond-Sparen Rendite-Schwächen seit 2009 / 2010 und einer monatlichen, auf den Auszahlungsbetrag zu leistenden Abgabe an die Krankenkasse in Höhe von monatlich rund 32,00 Euro über 10 Jahre hinweg, verbleiben mir als echtem Cash auf dem Konto per Stichmonat Mai 2020 für die mühsam angesparte Altersversorgung rund 2,6 % jenes Betrages, den der CDU-Abgeordnete Georg Nüßlein infolge krumm-krimineller Maskenverkauf-Provisionen jüngst an einem einzigen Tag per Kontozahlung kassiert hat. Und vermutlich dürfte er das Geld zivilrechtlich behalten dürfen, nach seinem bisher rein politischen Untergang. Wir werden sehen, was die Gerichte entscheiden.

In der KW 10 2021 habe ich (erst, weil mir bis dato das ganze Geschehen über ELSTER zu suspekt vorkam) meinen Antrag auf Hilfe für Soloselbständige gestellt. Ein erläuterndes Zusatzschreiben an das Finanzamt habe ich nachträglich verschickt (und es bei einer dritten institutionellen Stelle hinterlegt, um mich eines potentiellen Vorwurfs des Subventionsbetruges zu verwehren).

40 % meiner eher kleinen Altersvorsorge infolge Fond-Sparen habe ich im Zuge des Jahres 2020 bereits verbraucht. Teilweise für den Lebensunterhalt, in nicht geringem Teil auch für neue Anschaffungen von beruflich-unternehmerischem Equipement im Video- / Bewegt-Bild-Bereich. Ziel dabei – Neu-Kundengewinnung durch Angebote im Online-, Animations- und Streaming-Bereich und damit weg vom klassisch gewohnten Bereich der Werbung / Öffentlichkeitsarbeit im Print-Sektor. Es wird sich erweisen, ob das neue Investment im Zuge des Jahres mir als Grafik-Designer neue Kundschaft im allgemeinen Bewegt-Bild-Bereich bringen wird. Ich sage derzeit mal – Streaming ist das neue Print.

Wir Grafik-Designer und Arbeitnehmer in artverwandten Design- und Werbe-Disziplinen stehen und standen seit eh und jeh am Ende der Wertschöpfungskette in der Wirtschaft. Auch in normalen Zeiten ist es am Markt nicht leicht, produzierende oder dienstleistende Unternehmen davon zu überzeugen, Werbemaßnahmen im kleineren oder großen Ausmaß mit der eigenen Agentur auf den Weg zu bringen, statt mit einem von hunderttausenden anderer Anbieter. Harter Kampf im Wettbewerb gehört zum Geschäft der Kreativ-Branchen, insbesondere umso mehr, seitdem die Digitalisierung wesensbestimmenden Einzug in die Gestaltungsberufe gehalten hat. Und ich rede dabei nicht über die Faszination gegenüber den inzwischen fulminanten Features von Software-Programmen und Apps für Jedermann / -frau / -divers, sondern über den Verfall von Leistungsentgelten in Verbindung mit missbräuchlichen Werkvertragsinterpretationen gegenüber BGB § 631 ff. sowie einem allgemeinen Verfall bezüglich Honorarverträgen im Bereich der Kreativ-Wirtschaft.
Das Netz – so wird es allenthalben suggeriert – bietet in seiner inzwischen großen Fülle alle nur denkbar möglichen „Design-Lösungen“ für (fast) Umme. Wozu also noch Geld an einen Grafiker-Designer oder andere „Werbe-Fuzzis“ zahlen?! Das in der Musik-Welt grassierende Spotify-Syndrom macht sich zunehmend mehr auch in den bildnerisch-künstlerischen Berufen bemerkbar. Pay less to have more fun.

Ich beklage mich nicht. Ich liebe meinen freiwillig gewählten Beruf, ich weiß was ich kann und was nicht. Für mich gehört das berufliche Auf-und- Ab im Dialog mit Kunden und solchen, die es werden wollen, bezüglich Werbe-Etats und Fragen der Gestaltungsumsetzung für diesen oder jenen Zweck, zum Alltagsgeschäft. Und ich liebe diese immer wieder neue Auseinandersetzung darüber, wie sich ein Kunde, ein Unternehmen selbst sieht und wie ich es im Zuge von Angeboten und Auftragserteilungen sehen soll, was die Grafik-Design Präsentation, die Werbung und die Öffentlichkeitsarbeit betrifft. Über den Geschmack dieser oder jener grafischen Gestaltung lässt sich wunderbar und konstruktiv streiten. It's only Rock'n Roll but we like it. Ich und die meisten meiner Kunden auch. Wir Gestalter und Werber in den großen und kleinen Agenturen bis runter zum Soloselbständigen – we bring the product to the people by design throughout images and text messages. Wir gestalten und formulieren die Botschaften für die "Produzenten-Götter" auf Erden als systemrelevante "Herolde".

Wir in den Gestaltungsberufen werben im System der sozialen Marktwirtschaft für Autos, Fahrräder, Fön-Frisuren für Frauen und Bart-Pflege für Männer, für neue Energiegewinnungskonzepte, für den Pizza-Bäcker um die Ecke, für ehrenamtliches Engagement, für den Mega-Star in großen Hallen, für die Newcomer in kleinen Clubs, für Fußpilzbekämpfungscremes, für Fun-Spaß-Resorts für die ganze Familie und für kaum aufzählbar vieles mehr. Manches dabei ist sehr wichtig, manches weniger. Und dennoch ist alles Gestalten und Werben relevant im System, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für die Produzenten zu erzeugen. Niemand kauft ein Auto oder besucht ein Theater, wenn nicht dafür geworben wird, dass man ein Auto kaufen oder eine Theater-Inszenierung besuchen kann.

Ein einst von mir gehörter und zugegeben sprachwissenschaftlich etwas an den Haaren herbeigezogener, aber dennoch gut verständlicher Spruch aus dem Munde von Günther „Jim“ Rakete fällt mir ein – Design oder Nicht-Sein.

Derzeit bin ich beruflich Nicht-Sein. Nur mit einem hohen Resilienz-Faktor gesegnet und ohne hinreichende Test-Szenarios und Impfstofflieferungen seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen ausgestattet. Aber wie lange noch halte ich als „alter Kempe“ in der Kreativ-Branche durch? Ich fürchte, die Antwort muss ich mir lösungsorientiert ohne Politik-Gequasel in einer Markus Lanz Talk-Shows demnächst selbst geben. Auch bei mir ist inzwischen das Vertrauen in die Fähigkeit der politischen Klasse im Bund, in den Ländern und in den Komunen verloren gegangen, was die Fähigkeit zur Pandemie-Bekäpfung in einem nötigen Ausmaß und mit klar koordinierten Maßnahmen betrifft. Zwar stirbt die Hoffnung zuletzt, doch auch sie stirbt. Aber mein Kreativ-Potential lebt weiter. Und das macht mir Zukunftsmut trotz anhaltendem Shutdown in diesen Zeiten. Selbst, solo und ständig.