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Demokratie ist kein Ponyhof

Das seit den Finanzkrise-Bewältingungversuchen 2008/09 aufgekommene Wort „Stresstest“, kann nicht nur für Banken, große Bauprojekte und die so genannten Pisa-Studien im Bildungsbereich gelten, sondern es muss auch auf die jeweils aktuell auf Zeit gewählten Regierungen angewendet werden - egal aus welchen koalierenden Parteien diese bestehen. Ganz nach dem Motto „An der Tat müsst ihr sie messen.“ Dies gilt dann auch für die Partei AfD, solange sie sich mit ihren politischen Angeboten im Rahmen der so genannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung befindet und zur Wahl stellt. Und es gilt vor allem in Bezug auf das, die Demokratie per Wahlentscheidung ursächlich initiierende und am Leben haltende Volk. In seiner Gesamtheit gibt es das eine Volk als größtem gemeinsamen Nenner übrigens nur einmal und nicht als mehrfach existierende Teilmengen, wie es Gruppierungen vornehmlich in Sachsen, aber auch zunehmend mehr in anderen Regionen in Deutschland und in Europa zu meinen scheinen.

Dem Volk kann man in seiner Vielschichtigkeit und seinen unterschiedlichen Interessenslagen eine freie Wahlentscheidung nicht absprechen. Tut man es dennoch, wie z.B. im Landtagswahlkampf Baden-Württemberg 2016 mit dem, auf die potentielle Wählerschaft der AfD gemünzten Satz von Nils Schmid: „Anständige Menschen wählen keine Rassisten“ oder wie Hillary Clinton mit der Bemerkung, dass die Hälfte der Trump-Unterstützer in ein „basket of deplorables“ gehören, erreicht man das Gegenteil des Beabsichtigten. Nicht die vermeintlich Unanständigen, die als erbärmlich Diffamierten oder die angeblich Fehlgeleiteten zieht man so auf die eigene Seite, sondern man treibt sie umso stärker in die Arme jener populistischen Parteien und Personen, die man eigentlich politisch zu bekämpfen versucht.
Der hier wirkende Mechanismus ist kommunikationstechnisch wie psychologisch recht einfach beschreibbar. Mit nur einem Wort beschrieben – Trotzreaktion. Unterfüttert mit einer Jetzt-erst-recht-Attitüde.

Wer populistische Parolen der einen Seite mit eigenen populistischen Parolen bekämpfen will, wer aufrührenden Widerstand in der Reaktion durch größerer Widerstand zu brechen versucht oder wer ganz allgemein nach dem Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Prinzip verfährt, der zeichnet das nie ganz fertige Bild der Demokratie nicht weiter, sondern beginnt es Strich um Strich wegzuradieren. Am Ende läge dann vor uns allen ein weißes Blatt Papier, dass in seiner Reinheit und Einfachheit - nun die, angeblich von einem falsch gezeichneten Demokratiebild gesäuberte - Grundlage für eine neue und besser zu illustrierende Ordnung darzustellen scheint. Werch ein Illtum, würde Ernst Jandl hier sagen.
Der reine Schein dieses weißen Blatt Papiers wäre nichts anderes, als die Blanko-Vorlage zur Etablierung eines Krickelkrakel der Willkürherrschaft, bestehend aus zahllos zerstrittenen Wir-sind-das Volk-Illustratoren.

Die Bundeskanzlerin hat diesbezüglich im jüngsten TV-Interview mit Anne Will eine klare Position bezogen, indem sie zumindest für sich und ihre Haltung feststellte: „...dass nur die, die nein sagen und die kritisieren, jetzt plötzlich das Volk sind und alle anderen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und Probleme lösen und sich versuchen einzubringen und nicht ganz so viel kritisieren oder kritisieren und Lösungen anbieten, dass die plötzlich nicht mehr das Volk sind und das irgendwo dazwischen die Elite beginnt, das finde ich – äh – kann ich, will ich für mich nicht annehmen.“

Lässt man mal in der Bewertung dieser Aussage den impliziten Umkehrschluss, dass die Nein-Sager nicht jeden Tag zur Arbeit gehen und keine Probleme lösen würden weg, hat die Bundeskanzlerin recht wenn sie betont, dass es innerhalb des einen Volks nicht irgendwelche zusätzlichen und selbsternannten Teil-, Unter-, Zwischen- oder sonstigen Völker geben kann.
An dieser Stelle fast schon warnend sei hinzugefügt, dass man es in der politischen Diskursen sowie auch in gesellschaftlichen Diskussionen tunlichst vermeiden sollte, den Volksbegriff zur Beschreibung oder Titulierung von Problematiken, von Lösungsvorschlägen bis hin zu Sorgen und Ängsten innerhalb der Bevölkerung heranzuziehen.
Denn es geht in den durchaus vehement zu führenden politischen Auseinandersetzungen über wesentliche Fragen unserer Zeit und die damit einhergehenden Geschicke eines europäisch eingebundenen und global vernetzten Deutschland, überhaupt nicht um völkische, völkerrechtliche oder volksidentitäre Fragen, sondern es geht um die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung innerhalb des einen Volkes im Sinne einer Gesamtkörperschaft. Man wende also im Kopf die Begriffe bereits schon beim Atemholen zur Artikulierung eines ersten Satzes richtig an. Und genau hier liegt auch der erste klare Hinweis zur Beantwortung der allseits gestellten Frage, „Wie soll man mit der AfD umgehen?“, begründet.

Es beginnt bereits mit den Begriffen. Man muss die AfD-Protagonisten bereits beim terminus technicus packen, gewissermaßen sprachlich und schreibend schon im expressionistischen Vorfeld entzaubern, noch bevor sie aus ihren kruden Begriffsbildungen und Emotionen heischenden Worthülsen größere Konzepte entwickeln und postfaktisch etablieren können. Das kostet Zeit, viel Kraft und Beharrlichkeit, ist aufwendig, komplex und gelegentlich auch ziemlich kompliziert. Kein leichter Ritt – aber Demokratie ist eben kein Ponyhof.

Und vor allem ist es dabei unablässig nötig, aus den eigenen Reihen heraus, die Sachlagen, die Zielvorstellungen, das Zuhören im Falle von dargebrachter Kritik (inklusive der eigenen Fähigkeit zur selbstkritischen Reflektion) klar und so umfangreich und ausführlich zu kommunizieren, wie möglich und nötig. Es wäre ein fataler Fehler im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl im September 2017, wenn andere Parteien getrieben von Scheu, Hilflosigkeit, Faulheit und dem schieren Schielen auf demoskopisch prognostizierte Wahlergebnisprozente, der AfD nach dem Mund reden würden. In der falschen Annahme, dieser Partei und deren Wählern damit die Butter vom Brot nehmen zu können. Es wäre falsch und kontraproduktiv für unsere Demokratie, die immer komplexer und teilweise komplizierter werdenden Strukturen und Beziehungen in der Gesamtgesellschaft und in den Beziehungen zu anderen Völkern, ebenso geistig verkürzt und emotional überfrachtet zu diskutieren, wie es die AfD tut.

Komplex-komplizierte Sachverhalte müssen ausführlich und detailliert erklärt werden, damit die Bevölkerung zum Ziel der Meinungsbildung versteht, worum es im Detail geht, worüber es am Endes des Tages abzustimmen gilt. Es gehört mit zu den Aufgaben der Politik, diese Erklärungsprozesse inhaltlich anspruchsvoll zu gestalten, statt nach vereinfachten und allzu simplifizierten Antworten zu suchen. Nicht das Volk ist begriffsstutzig oder gar dumm, sondern dümmlich wäre es, wenn die Auseinandersetzung über politische Denk- und Handlungsprozesse in Parteien und im Volk auf das Niveau von Talent- oder Koch-Shows absinkt.
Die Vermittlung politisch-demokratischer Gestaltungsprozesse hat eben auch enorm viel mit Bildung zu tun. Niemand käme auf die Idee, an Schulen, in der Berufsausbildung und an Universitäten über die Jahre hinweg lediglich das „Kleine Einmaleins“ zu lehren und am Ende des Bildungsabschlusses dann zu erwahrten, das die Ausgebildeten die gesamte Mathematik beherrschen.

Ursula von der Leyen sagte jüngst in einem SPIEGEL Interview in Bezug auf die Vermittlung und Erklärung von immer komplexer und komplizierter werdenden politischen und gesellschaftlichen Sachverhalten, „Ja, die Political Correctness ist überzogen worden...“ und sie sehe in der „dumpfen Einfachheit“ des Populismus eine „Chance“ darin, das die Parteien gezwungen werden, wieder eine verständliche Sprache zu sprechen. „Wir müssen in der Politik den Mut haben, das Notwendige mehr zu erklären, in einer einfachen Sprache, in Hauptsätzen“, so von der Leyen. Und genau hier geht sie den Populisten auf den Leim.

Denn es kann nicht das Ziel sein, das Niveau und die Qualität des politischen Diskurses abzusenken, um letztendlich nur für die eigene Partei wieder mehr Wählerstimmen zu ergattern. Ziel muss vielmehr sein, den Menschen schwierige Sachverhalte so zu erklären, dass diese in ihrer schwierigen Substanz klar verstanden werden. Im Zweifelsfall geht es also darum, die Wissensbildung und die Verständnisfähig im lernwilligen Volk anzuheben und zu schärfen und nicht darum, der Simplifizierung das Wort zu reden. Eine Demokratie der „Dumpfbacken“ – in den Parteien wie im Volk – verliert ab einem zu geringen Maß an Bildungsniveau, geistigen Anstrengungen und vielfältig gelebter Kommunikationskompetenz, die Berechtigung als Demokratie bezeichnet zu werden. Demokratie ist kein starrer Zustand, sondern stetiger Prozess. Und es gehört zum Wesen dieser demokratischer Prozessqualität, das es sich dabei eben nicht um etwas Einfaches und Leichtes handelt, sondern um Anstrengung und Mühe. Sorgen wir also alle dafür, dass sich dies Mühen wieder lohnt.

Die seit rund dreißig Jahren voranschreitende Globalisierung inklusive der digital-technischen Revolution – beides übrigens nicht von außen über die Menschheit hergefallen ist, sondern Ergebnis des menschlichen Denkens und Handelns selbst - mit all ihren positiven und negativen Facetten ist eine zu komplexe Herausforderung, als das man dazu nur eine Hand voller kurzer Antworten und einfacher Lösungen bezüglich der Problemstellungen geben kann. Deshalb muss den vermeintlich einfachen Antworten und schnellschussartigen Lösungsangeboten, den allzu simplen Erklärungsmodellen, den überbordenden Bauchgefühlsäußerungen und den Appellen an niedere Instinkte aus den Reihen der AfD – ja zusammengefasst die Antwort auf das, was Roman Herzog einmal den Ausdruck von „entzündeten Gehirnen“ nannte - lauten: Fakten, Fakten, Fakten.

Populismus ist heilbar – durch die Anwendung des uns allen bekannten und gut erprobten Medikament „Aufklärung“ mit den einander bedingenden Wirkstoffkomponenten „Verstand“, „Empathie“ und „Vernunft“. Ab sofort auch ohne Zuzahlung in der Sachsen-Klinik erhältlich.

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