Stacks Image 4582

Manipulierte Moneten

Die Stuttgarter Zeitung Online (05. 02. 2015) schrieb, das laut Bernd Klinger die Kosten in Höhe von 23.500 Euro für die Herstellung und Verteilung von 80.000 FDP-Faltblättern „preiswert und verhältnismäßig“ waren und dass die von seinen Vorgängern bevorzugte Agentur teurer gewesen sei. Die Angaben zu einzelnen Kostenpunkten sind in der Stuttgarter Zeitung Online etwas unpräzise. Im Artikel vom 05. 02. 2015 werden für den Anteil der Druckkosten 15.000 Euro netto genannt und es wird von vier Rechnungen für jeweils 20.000 FDP-Faltblätter geschrieben. Im Online-Artikel vom 24. Mai 2016 heißt es dann wieder für eine Gesamtauflage von 80.000 FDP-Faltblättern wären „rund 18.000 Euro Druckkosten geltend gemacht“ worden. Im selben Online-Artikel wird ein vor Gericht geladener Gesellschafter einer Druckerei erwähnt, der nach eigener Aussage für einen solchen Druckauftrag 2.000 bis 3.000 Euro verlangt hätte.

Wie kommen derart hohe Schwankungen bei der Kalkulation von Werbe- und Druckaufträgen zustande? Was ist realistisch – auch als branchenüblicher bzw. noch kalkulatorisch vertretbarer Höchstpreis – und was ist als reine Märchenerzählung aus dem Munde von Bernd Klingler einzustufen?

Eine Faltblattherstellung im Sinne einer Full-Service Abwicklung durch eine Werbeagentur oder auch einer freiberuflichen Grafik-Designer*in beinhaltet Grafik-Design-Leistungen inkl. möglicher Textformulierungsleistungen, ggf. Fotografie-Leistungen, die Abwicklung des Druckes in Form der Beauftragung einer Druckerei als externem Dienstleister und – wie hier angenommen – die geltwerte Verteilung der fertig gestellten Faltblätter.

Auf der Grundlage des AGD Vergütungstarifvertrag Design (AGD / SDSt) in der Fassung vom 01. Oktober 2015 wird der FDP-Faltblatt-Auftrag hier nachkalkuliert. Hierbei wird für den Bereich grafische Gestaltung ein Mindeststunden Satz von 90 Euro angesetzt, der in Branchenkreisen aus Sicht von Auftraggebern oft als hoch bzw. zu teuer angesehen wird.

Da bis heute kein Beleg-Muster des angeblich hergestellten FDP-Faltblattes existiert, wird großzügig ein DIN A5 Format mit 8 4-farbigen Seiten angenommen. Politische Publikationen sind i.d.R. keine Hochglanz-Werbemittel sondern relativ einfach gestaltete grafische Erzeugnisse. Das so genannte Corporate Design oder das Gesamterscheinungsbild einer solchen Publikation, wie Farbgebung, Schriftverwendung, Bild-Material von Personen sowie auch der überwiegende Teil der Inhaltstexte ist normalerweise durch die Partei / die Fraktion vorgegeben. Somit handelt es sich hier unter dem Stichwort der Schöpfungshöhe um keine außerordentliche Kreativleistung einer Werbeagentur oder einer einzelnen Grafik-Designer*in.
Zugrunde gelegt wird im folgenden Kalkulationsbeispiel der Stundensatz von 90 Euro. Als Zeitaufwand für die grafische Entwurfsgestaltung wird 1 Stunde pro Seite veranschlagt. Bei 8 Seiten ergeben sich 720 Euro. Da bei derartigen grafischen Erzeugnissen Entwurf und Reinzeichnung mehr oder weniger Hand in Hand gehen, werden für die Reinzeichnung (die tatsächliche Ausfertigung des Entwurfs in Form einer druckfertigen Vorlage) hier lediglich noch mal 4 Stunden zusätzlich kalkuliert, also 360 Euro. Angenommen wird weiterhin, dass z.B. für die Titelseite und ggf. auch für die einige Innenseiten zusätzliche Fotografien hergestellt oder bei einem Bilderdienst eingekauft wurden. Diese Kosten für Fotografie werden hier mit weiteren 500 Euro geschätzt. In der Summe ergeben sich bis hier hin dann 1.580 Euro für den Bereich der grafischen Gestaltung.
Hinzu kämen noch Kosten für die Überlassung der Nutzungsrechte für einen bestimmten Zeitraum. Da es sich bei politischen Publikationen in Wahlkampfzeiten um punktuelle und kaum um wiederkehrende oder längerfristig wirksame Werbemittel handelt – eine längere, mehrjährige Nutzung und auch denkbare Weiterentwicklungen der einmal hergestellten grafischen Erzeugnisse also nicht gegeben ist – wird hier lediglich ein Nutzungsfaktor von 0,5 angenommen. Daraus ergeben sich dann hier abschließend Gesamtkosten für den Bereich Grafikleistungen in Höhe von 2.370 Euro netto (1.580 + 50% v. 1.580).

Im Bereich Druck sind bei einer Gesamtauflage von 80.000 DIN A5 Faltblättern mit 8 4-farbigen Seiten unter Verwendung von handelsüblichem Papier (170 g) ca. 3.000 Euro netto realistisch, wenn man sich einer Online-Druckerei via Internet bedient, was heutzutage auch bei Partei-Publikationen durchaus üblich ist. Ein Druckauftrag beim Anbieter vor Ort muss nicht zwangsläufig teurer sein, ist es aber häufig. Allerdings in angemessenen Spielräumen, sodass hier großzügig und maximal 6.000 Euro netto für den Druck angenommen werden.

Als dritter Posten käme (theoretisch) die Verteilung hinzu, potentiell durch einen Verteildienst. 40 Euro pro Stunde bei 1.000 Stück / Stunde Verteilmenge ergeben dann 3.200 Euro Kosten für die Faltblattverteilung der Gesamtauflage von 80.000 Stück.

In der Addition der drei einzelnen Posten - Grafik, Druck und Verteilung - ergibt sich dann ein realistischer Gesamtbetrag in Höhe von 11.750 Euro netto. Wie oben mehrfach erwähnt, wurde hier bereits an einer oberen „Schmerzgrenze“ (im Sinne des FDP-Auftraggebers und des Fraktionsbudgets) zur Herstellung eines solchen Werbe-Faltblattes als Full-Service-Auftrag beispielgebend kalkuliert.

Bernd Klingler hat nun jedoch von der angeblichen Werbeagentur der Michela G. für die oben beschriebenen und aus fachlicher Sicht nötigen Leistungserbringungen eine Rechnung über 23.500 Euro erhalten – also eine doppelt so hohe Rechnung gegenüber dem eigentlichen Wert der tatsächlich erbrachten Leistung (die hier im Kalkulationsbeispiel ohnehin als sehr teuer dargestellt ist).
Die angebliche Werbeagentur hätte somit eine um 100% höhere Rechnung auf ihrer Einnahmeseite erzeugt bzw. ausgestellt, um dann den hälftigen Betrag davon auf der Ausgabenseite an Bernd Klingler in Form einer so genannten „Kick-Back“ Provision zu zahlen. Klingler, selbst gelernter Werbekaufmann und ebenfalls Inhaber einer Werbeagentur, hatte dieses Geschäftsgebaren („Kick-Back“ Zahlung) als branchenüblichen Vorgang bezeichnet.

Ist es ein branchenübliches Vorgehen, dass der direkte Auftraggeber, hier Klingler als damaliger FDP-Fraktionsvorsitzender, von seinem direkten Auftragnehmer, der angeblichen Werbeagentur der Michela G., für einen simplen Faltblatt-Auftrag eine Provision erhält, die genauso hoch ist, wie der tatsächlich erbrachte Wert der Auftragsleistung? Und das dann auch noch in dieser exorbitanten Betragshöhe?
Ist es also branchenübliche Praxis, wie uns Klingler einreden will, das Land auf Land ab Werbeagenturen Rechnungen stellen, die häufig doppelt so hoch sind wie die tatsächlich abrechenbare Leistung, um dann dem direkten Auftraggeber – und eben nicht einem potentiell beteiligten dritten Vermittler - eine satte Provision zu zahlen?
Jedes Finanzamt würde diese Frage bei allem Wohlwollen gegenüber geschäftlichen „Anreizschaffungen“ bei Auftragsvergaben mit Nein beantworten und zugleich erkennen können, das auf der Seite einer Werbeagentur – hier dann der von Michela G. – künstlich Ausgaben ohne Gegenwert erzeugt wurden, um die eigene Einnahmeseite bzw. das zu versteuernde Einkommen aus der Überschussrechnung von Einnahmen und Ausgaben, extrem und widerrechtlich nach unten zu drücken.

Laut Stuttgarter Zeitung Online vom 07. 06. 2016 ergaben kriminalpolizeiliche Kontoprüfungen, das in einem 18-monatigen Zeitraum von lediglich sechs Kontobewegungen auf dem Konto der angeblichen Werbeagentur-Inhaberin Michela G., fünf Überweisungen im FDP-Auftrag eingegangen waren und – neben dem oben behandelten Fall – weitere Zahlungen kurz nach Zahlungseingang auf dem Agenturkonto, ebenfalls auf einem Klingler-Konto landeten. Es scheint also nicht nur ein klinglersches „Kick-Back“ Modell in Form von unklaren Provisionszahlungen und Auftragsgeschehnissen im Zusammenhang mit öffentlichen Geldern zur Finanzierung der FDP-Fraktionsarbeit zu geben.

Da nach allem was bis dato in der Presse bezüglich des Falles KlinglerGate – nach Klinglers eigenen Bekundungen sowie infolge von Schilderungen aus dem Gerichtverfahren – zu lesen war (wenn auch in Teilen etwas redundant und gelegentlich mit Mängeln an journalistischer Schärfe) kann inzwischen behauptet werden, dass der Vorwurf der Untreue strafrechtlich zu milde war.
Es besteht daher ein erhebliches öffentliches Interesse zur Aufklärung des gesamten Falles in seinen vielfältigen Durchdringungen. Das nach Prüfung möglicherweise zuzulassende Berufungsverfahren vor dem Landgericht böte dazu eine rechtstaatlich wünschenswerte Gelegenheit.

blog comments powered by Disqus
SAVE THE DATE


KOMMENDE VERANSTALTUNG
IST IN PLANUNG FÜR 2022.

ANZEIGEN







Hier könnte Ihre Anzeige stehen.