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Heil Dir, oh Du Hashtag

Volker Beck, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der GRÜNEN und aktueller Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hat die böhmermannsche #rafdp-Aktion aus meiner Sicht sehr treffend bewertet: „Wenn alle eine Umdrehung zu weit gehen, weil sie im eigenen Lager immer auf Applaus rechnen, gibt es einen Verlierer - die demokratische Kultur“.

Nichts gegen überzogene Satire und immer für die Freiheit der Kunst - jedoch müssen die Bezüge, der Kontext, die Qualität und vor allem auch so etwas wie die kreative Schöpfungshöhe des Expressionismus von tiefschwarzem Humor stimmen. Hier hat der ansonsten in der neu etablierten Sparte der „Investigative Comedians“ gute Arbeit leistende Jan Böhmermann mit seinem ZDF Magazin Royale am 26. 11. 2022 versagt. Sein Schuss geht diesmal nach hinten los. Insbesondere wegen der ziemlich platt-populistischen Aneinanderreihung von Zitaten, Film-Snippets, Presse-Artikeln, Plakaten und Fotos aus der Welt der RAF und der FDP, die er quasi im kommentatorischen Schweinsgalopp in allerlei herbei getextete Zusammenhänge stellte und dabei Paralellitäten und Synchronitäten zwischen den Motiven und Personen der RAF und der FDP suggerierte. Warum? Weil der Hashtag #rafdp als Akronym so geil war, um daraus eine ganze Sendung zu bauen?

Im Ansatz war die Idee durchaus gut, wenn man künstlerisch-radikal aktuell auf durchaus nicht von der Hand zu weisende Konflikte und gefahrvolle Spannungslagen in unserer Gesellschaft zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“ hinweisen will. Auch von Jonathan Meese ist man beispielsweise schon einiges Extremes gewohnt, falls man seit Jahren gut durch "Aspekte" gekommen ist. Kabarett- und comedy-historisch muss Böhmermann z.B. Vorbilder wie den bissigen Wilfried Schmickler (Mitternachtsspitzen) oder den ebenso bissigen Georg Schramm kennen; von Dieter Hildebrandt (Scheibenwischer) ganz zu schweigen. Man muss es eben nur richtig machen, um in der TV-Show rüberzubringen, dass es im Richtigen kein Falsches gibt oder nicht geben sollte. Sofern man die FDP mit Christian Lindner & Co. eben für das Falsche in dieser Regierungskoalition und für unsere Gesellschaft erachtet. Einfach nur per Maus-Klick in der Google-Recherche mit Wikipedia-Wissen punktuell draufhauen, das funktioniert im Meta-Universe Zeitalter nicht mehr.

Michelle Obama hat im Wahlkampf 2016 in den USA gegenüber den Gesellschaft spaltenden Machenschaften im Trump-Maga-Lager entgegengerufen, „When they go low we go high.“ Und erläuternd ergänzt, „Wenn wir die gleiche Taktik anwenden wie die anderen, wenn wir Leute erniedrigen und entmenschlichen, werden wir nur Teil des hässlichen Lärms.“ Das deckt sich mit dem oben erwähnten Statement von Volker Beck.

Ja - bereits die ersten Äußerungen aus dem deutschen konservativen und rechten Lager von CDU, CSU und AFD, die Klebstoff- und Kartoffelbrei-Klima-Aktivisten mit ihren Aktionen der Straßenblockade und der Kunstwerk-Beschmierung, mit der RAF zu vergleichen, war völlig dämlich und Populismus pur. Und letztendlich völlig geschichtsvergessen.  Die "Letzte Generation" oder auch "Instinction Rebellion" - das sind doch aktuell keine Systemsprenger auf der Straße und im Museum, sondern es handelt sich bestenfalls - bei allem Ernst bezüglich der Klimawandelproblematik - doch eher um eine ziemlich hilflose "Spaß-Guerilla". Doch der Trigger funktioniert. Die innere Sicherheit Deutschlands ist bedroht und muss zumindest in Bayern mit einer "Lex Pattex" gesichert werden. Wegen the german angst und wegen dem, was Sigmar Gabriel schon während der wirren TTIP-Debatte vor einigen Jahren feststellte. Viele Deutsche seien einfach nur rich and hysteric.

Die Hysterie so lernen wir aus der Etymologie des griechischen und indogermanischen Sprachschatzes, bedeutet „an der Gebärmutter krankend“. Man darf das nicht spezifisch weiblich fehlinterpretieren, sondern man muss den Begriff abstrakt bis hin metaphysisch begreifen. In der Wechselwirkung von Ursache und Wirkung. Es krankt etwas an der Wurzel oder es ist etwas am Samen auf dem Feld faul. Die Landschaft blüht, aber sie trägt zu wenig Früchte aus dem Blütenstand des Angepflanzten. Wir haben ein Demokratie-Wachstumsproplem.

Ich, der Autor (1960 in Berlin-Charlottenburg geboren), gehöre einer Generation an (Baby-Boomer genannt) die das staatskritische und demokratie-fördernde Blütentreiben der so genannten 68er-Generation als Früchte in den 1970er und 1980er Jahren ernten und genießen konnte. Mehr Freiheitsgewinnungen im Inneren der deutschen Gesellschaft. Eben genau deshalb, weil die brandtsche Botschaft des „Mehr Demokratie Wagenwollens“, im Alltag spürbar Schritt für Schritt erlebbare Wirklichkeitswirkung zeitigte.
Und natürlich ist es fast immer so - je liberaler, je offener und je diverser sich eine Gesellschaft in ihren Ordnungsprinzipien zeigt - und dies auch in Gesetze kleidet - umso größer wird logischer Weise auch die Möglichkeit für diejenigen, die der offnen Gesellschaft kritisch bis hin feindlich gegenüberstehen. Weil auch sie schlichtweg die liberalisierten Gegebenheiten für ihre antipodischen Zwecke nutzen können. Je liberaler und offen (-herziger) das demokratische Staatswesen gegenüber seinen Bürger*innen wird, umso mehr läuft es - wegen der gewährten Liberalität - Gefahr angegriffen zu werden.

Hierin liegt eine enorm schwierig auszutarierende Balancewahrung zwischen Staat und Gesellschaft, um letztendlich die Systemsprengung in einer Demokratie abzuwehren. Beides Seiten sind hier aufgerufen, den gesamten „Laden“ verlässlich und kontinuierlich zusammenzuhalten. Was kann der Staat für Dich tun und was kannst Du für den Staat tun? Kennedy lässt grüßen. Checks and Balances sind nicht nur ein USA-Thema. Allerdings - eine ewige GroKo aus zwei Groß-Parteien per Wähler-Votum würde Deutschland auch nicht gut tun. Also - besser im (hoffentlich) fruchtbringenden Zwist zu dritt regieren, als mit Rot-Grün Phantasien die FDP von der Bettkante zu schupsen. Üben wir in Deutschland in der Drei-Parteien-Regierungskoalition einfach mal italienische Verhältnisse im Ansatz bis zur nächsten Wahl. Ohne Mißtrauensvotum.

Abschließend noch eine persönliche Anmerkung. In meiner Jugend (erst im Alter von 30 Jahren verschlug es mich ins dröge Stuttgart) war ich als West-Berliner (und auch mit einigen Besuchen in Ost-Berlin) zwischen dem Eisernen Vorhang im Kalten Krieg viel unterwegs und hier und dort einigermaßen interessiert für dies und das. Ich war zwar mit zwei, drei Kontakten zu irgendwelchen „Roten Zellen“ nie so nah dran an der RAF wie Stefan Aust und unser (aus heutiger Sicht post-pubertärer) Artikel in der Schülerzeitung mit Unterstützungs-Statements zum Hungerstreik von Holger Meins - Holger, der Kampf geht weiter - hat mir als Mit-Autor und Vize-Vize-Chef-Redakteur das damals zukünftige Berufsleben nicht versaut. Dennoch - der so genannte Heiße Herbst wurde heiß diskutiert. Für mich ging es nie um irgendein Sympathiesantentum.

Auch nicht in den frühen Tagen, als Gudrun Ensslin und Andreas Bader riefen „Burn, warehouse burn“. Und dennoch bin ich in meiner Jugend, in der Schule und an der Universität in der Dekade des innerdeutschen Terrors aufgewachsen. Meine Französisch-Lehrerin in meiner Abiturphase saß in der „Landshut“ auf dem Flughafen von Mogadischu. Vor wenigen Jahren hatte ich Gelegenheit mit ihr auf einer Jahrgangsfeier zu sprechen. Ich glaube sie würde Böhmermanns „Enthüllungsstory“ nicht lustig finden.

Ich letztendlich auch nicht. Als Claudia Roth noch Managerin der Szene-Band „Ton Steine Scherben“ war, stand ich irgendwann an einem Tag Ende der 1970er Jahre im Tommy-Weißbäcker-Haus (liegt gleich gegenüber, einen Steinwurf entfernt (hihi) vom heutigen Willy-Brandt-Haus der SPD) und lauschte den Klängen der Band.

Wir kennen die Refrains als Slogans. „Das ist unser Haus, hier geh’n wir nicht raus.“ Oder „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Und wir kennen auch die Zeilen, die die Sozis für sich in Anspruch genommen haben. Lage bevor Olaf Scholz die Zeitenwende ausrief. „Wann, wenn nicht jetzt? Wo wenn nicht hier? Wie wenn ohne Liebe? Wer wenn nicht wir?

Was mich richtig wütend gemacht hat im Böhmermann-Kosmos in Form der Sternschnuppe seiner Sendung am 26.11.2002 zum Thema #rafdp ist die diffamierende Heranziehung von Rio Reiser. Denn es sind damals in den 1970er und 1980er Jahren eben genau jene Protagonisten der so genanten Sub-Kultur gewesen, die im weitesten Sinne als „Punks“ musikalisch-textlich, sonst wie künstlerisch und auch konstruktiv wirkend (z.B. Hausbesetzer) auf die Gesellschaft friedlich-radikal eingewirkt haben. Meine Heimat-Stadt Berlin hat postum einen Platz nach Rio Reiser im Bezirk Kreuzberg (legendärer Bezirksteil SO36) benannt. Ich lasse mir nicht durch Jan Böhmermann eines meiner Idole zerstören, nur weil er am Ende der Sendung seine zusammengestückelten RAF-FDP Phantasien mit Band im Jugendclub-Setting der 1970er Jahre als „Ton Steine Scherben“ Verarschung präsentiert. Jan - hier hört für mich der Spaß im Ernst auf.

Fazit. Jan Böhmermann - der beste den wir seit Harald Schmidt hatten - ist am 26.11.2022 mit seiner #rafdp-Sendung dort angekommen, wohin er wahrscheinlich selbst nie reisen wollte. Im Land der schieren Aufreger-Kultur. Ein Land, in dem alle nur noch schreien und niemand mehr weiß, wer-was-wieso-weshalb-warum sagt und hört, schreibt, liest und twittert. Herzlich willkommen in der Federal Republic of Hysteria.

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