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​Hält doppelt besser? SPD sucht neue Wege (Teil 5) · Willy Brandt, die SPD und ich

Jaaaahaaaaaa geschätzte Genoss*innen - als ich am 08. Oktober 1960 in Berlin-Charlottenburg geboren wurde, da war Willy Brandt noch „mein“ Bürgermeister. Bis zum 01.12.1966. Konnte ich damals seit meiner Geburt sechs Jahre lang etwas damit anfangen? Nein. Aber - als ich selbst rund eine Dekade alt wurde, konnte ich nach der kurzen Amtszeit von Heinrich Albertz mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz etwas anfangen. Auf dem damals traditionellen British Tattoo - ein Tag der Offenen Tür aus einer Mischung von Militär-Show und Kirmis der Britschen Besatzungsmacht auf dem Gelände des Flugplatz Gatow - traf ich Klaus Schütz. Es war um die Jahre 1969 bis 1971, ich war um die zehn Jahre alt und als Besucher - mein damaliger Wohnort im Elternhaus lag eine Spukweite vom Flugplatz Gatow, im Spandauer Stadtteil Kladow, entfernt. Ich, wie alle männlichen Stepkes damals wie heute, an Baggern, Feuerwehrfahrzeugen und eben auch Panzern interessiert, kletterte in einen solchen. Die Britten hatten an diesem Tag der Offenen Tür der Berliner Bevölkerung gestattelt, hinter die Kulissen ihrer Verteidigungsmacht im Kalten Krieg zu schauen. Kinder-Krabbeln im Panzer inklusive.

Als ich nach der Inaugenscheinname des Panzer-Inneren wieder aus der Luke herauskletterte, reichte mir jemand, auf dem Panzerturm stehend, seine Hand. Es war keine normale Hand. Es war eine ledernde Hand, schwarzgrau, die Finger kaum beweglich. Es war die Hand von Klaus Schütz. Mit dieser Hand am Arm, konnte mich der damals Regierende Bürgermeister nicht aus der Panzer-Luke hochhieven. Er nam die andere, die gesunde zur Hilfe. Nun stand ich neben Klaus Schütz und fragte, die Handprotese verduzt anschauen - wat is’n ditte? Und ich erinnere seine Worte bis heute - Das ist eine Kriegsverletzung und das kommt davon, wenn Panzer tatsächlich schießen.

Wieder zu Hause, im nächst kommenden Sommer, nam ich all meine Plastik-Soldaten und Modellbau-Flieger Marke Airfix und anderer Hersteller - eine Stuka war auch dabei - zusammen und schlug unter Verwendung von zuvor eingeheimsten Silverester-Knallkörpern und Benzin aus dem Ersatz-Kanister in der Garage, als kindlicher General mit meinem Bruder als Feldmarschall eine Vernichtungsschlacht gegen das eigene Kriegsspielzeug in der Sandkiste unseres Gartens im Kladower Eigenheim. Ich behaupte nicht, Klaus Schütz hätte mich zum Pazifisten gemacht und bis heute bin ich kein solcher im Sinne des Ettiketts - aber seit meinen zehnten, elften Lebensjahr war mir klar geworden - nie wieder Krieg. Danke Klaus Schütz.

Die Friedens-Balance des Kalten Krieges gehört für mich als West-Berliner zum State of the Art in den ersten dreißg Jahren meines Lebens. Und es ist, die Verdienste von Konrad Adenauer nach 1945 sehr würdigend, ohne jeden Zweifel ab der Mitte / dem Ende der 1960er Jahre die deutsche Sozialdemokratie und nach Kurt Schumacher, mit Willy Brandt und später Helmut Schmidt allen voran - aus meiner Sicht - Egon Bahr, der als Architekt der deutschen Entspannungspolitik die richtigen Pflöcke ins Feld gesetzt hat. Annährung durch kleine Schritte, Wandel durch Annäherung und - ja auch dies - stetige Verhandlungsdiplomatie in Paarung mit militärischer Drohung, wenn es sein muss. Aber eben kein Vabanquespiel, sondern kontrollierter Poker zugunsten einer deutschen und europäischen Friedensordnung. Zittern zum Ziel allseits gewollter Sicherheit. Friedensordnung nicht nur schaffen, sondern sicher zukunftsfest erschaffen. Mit Schweiß und Tränen - aber ohne Blut.

Gehen Sie heute mal durch die Flure der UNO und klopfen an die Türen der Diplomat*innen - die Bahr’sche Konzeption ist im Bereich staatlich-nationaler Konfliktlösungsstrategien international zum State of the Art seit Ende und wohl unablässig ab Beginn des 21. Jahrhunderts geworden. Und für mich als Berliner ist dies bis heute das, was ich als Kerngeschäft der SPD verstehe und weshalb ich sie weiterhin - wie seit meinem ersten Wahltag vor rund vierzig Jahen - wählen werde. Nicht die Friedenspolitik an sich im Sinne von Krieg und / oder Frieden, sondern die seit über 150 Jahren bewiesenene Fähigkeit, in zahlreichen Konfliktfällen und Wechselfällen durch vitale, offenherzige und verstandesorientierte Streitkultur um die beste Sache zum Wohle der Gesellschaft in der Demokratie deutscher Prägung zu ringen.

Und dies Ringen um den besten Weg hat - so zumindest in der Wahrnehmung meiner Lebensphase - oftmals gut gewirkt. Es wirkt in vielen Details auch in den zurückliegenden drei GroKo-Regierungen mit der SPD. Allerdings - der große Wurf bleibt seit der Agenda 2010 als neue Agenda für die Zukunft bisher aus.

Die Partei, ihre jeweiligen Fraktionen in dieser und zurückliegenden Regierungsbeteiligungen und besonders die Mitglieder, haben sich mittlerweile zu sehr in kleinkarrierten Scharmützeln zwischen dem Head-Quarter Willy-Brandt-Haus und den Ortsvereinen an der Basis verloren. Man ist nicht mehr nah an den Menschen und man ist als Gesamtkörper auch nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Es ist Zeit für eine radikale Zäsur - nach dem Ende der jetzigen GroKo zur nächsten regulären Wahl 2021.Eben auch, wenn man dieser Tage auf die CDU/CSU in der aktuellen Regierungskoalition schaut. Hier gilt der neue Slogan bezüglich der so genannten winning teams für die aktuelle GroKo insgesamt: Durchhalten auf Teufel komm raus. Never change a loosing team.

Mit wem auch immer - Scholz oder Walter-Borjans (die zwei Frauen Geywitz und Esken sind keine „Bringer“ und das ist keine Frauen diskreminierende MeToo-Bemerkung) kann die Partei zukunftsvisionär klar neu geordnet werden. Als Zwischenstand bis 2025. Augen auf und durch. Es geht doch derzeit wirklich nur um das Innenleben der SPD als Partei-Organisation und nicht um Regierungsmacht-Optionen für morgen. Keiner von beiden - weder Scholz noch Walter-Borjans ist wirklich Kanzler tauglich, meine ich. Und letztendlich hat Jürgen Trittin recht - die Zeiten der Volksparteien vorbei und damit auch das Gefasel Mehrheitsmitten gewinnen zu wollen bzw. zu können.
2021 werden wir mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine Dreier-Koalition an der Regierung auf Bundesebene haben, wenn ich mich mit Sam Hawkings nicht irre. Wie groß oder wie klein die SPD darin sein wird, wird sich zeigen. Meine Stimme hat sie weiterhin. Inzwischen aber eher nur, weil mein Verstand nicht aus seiner Haut kann. Sie versteh’n - ick bin ein Berliner.

Oder wie es Wolfgang Neuss mal frei zitiert sagte, als er zu seinen Lebzeiten noch nicht täglich vollgekifft war und seinerzeit in der NDR Talk-Show 3nach9 mit „Häuptling Silberlocke“ Im Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Richard von Weizsäcker, diskutierte: Wir brauchen keine Vordenker, wir brauchen keine Nachdenker - wir brauchen Mitdenker.

Es könnten demnächst auch wieder Sozis sein. Später mal. Jetzt noch nicht. Wir sehen uns 2025.

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