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Hält doppelt besser? SPD sucht neue Wege (Teil 3) · Weinen oder Lächeln?

Man konnte es ahnen. Knapp zwei Wochen vor „Schalterschluss“ besinnt sich die erste Reihe in der Führungsriege der SPD. Zumindest Olaf Scholz als erster zum Ausklang dieser Woche. Und Schwups - allen anderen die sich als Bewerber*innen im Team oder als Einzel-Kandidat*in bisher mit mehr oder weniger Unterstützern gerüstet hatten, fallen die Mundwinkel nach unten - auf Stegner-Tiefe.

Mit Ralf Stegner (SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein) im Duo mit Gesine Schwan (Politikwissenschaftlerin, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission) waren neben dem Tandem Boris Pistorius (niedersächsischer Innenminister) und Petra Köpping (sächsische Integrationsministerin) in den jüngst zurückliegenden Tagen zwei weitere Zweier-Teams, die sich um den Parteivorsitz als Doppelspitze bewerben, hinzugekommen. Insgesamt stehen (Stand heute) zwölf Bewerber*innen bereit, die ab dem 01. September 2019 durch das Land tingeln sollen, um sich der SPD-Basis vorzustellen

23 Regional-Konferenzen sind dazu bis 12. Oktober 2019 terminiert und am 14. Oktober 2019 startet dann die Mitglieder-Befragung. Die Mitglieder*innen entscheiden in diesem Prozess nicht, wer am Ende Parteivorsitzende/r wird, sondern sie wählen in einem Online- und Briefwahlverfahren ihr jeweils favorisiertes Zweier-Team bzw. den oder die Einzel-Kandidat*in.
Wer die meisten Simmen infolge der Mitglieder-Befragung erhält, wird als Kandidat*in oder als Zweier-Team (Doppelspitze) für den Parteivorsitz auf dem SPD-Parteitag vom 06. bis 08. Dezember 2019 zur ordentlichen Wahl vogeschlagen.

Das gesamte Verfahren ist also eine Art Vorauswahl, bei der durch das Votum der SPD-Mitglieder aus dem Kreis der Bewerber*innen ein Zweier-Team oder eine Person für die Kandidatur um den Parteivorsitz gewählt wird, nicht aber für den Parteivorsitz selbst (siehe dazu SPD-Statuten § 14 (11), „Im Vorfeld von parteiinternen Vorstandswahlen können Mitgliederbefragungen durchgeführt werden. Der Parteivorstand beschließt hierzu eine Verfahrensrichtlinie.“ Eben das aktuell laufende Such-und-Find-Verfahren.

Das Mitglieder-Votum - egal ob man es nun Befragung oder Entscheid nennt - ist nicht bindend. Auf dem Parteitag im Dezember 2019 kann der Parteivorstand neben dem Vorschlag infolge des Mitglieder-Votums eigene Kandidat*innen vorschlagen. Auch andere Gliederungen der Partei haben diese Antrags- bzw. Vorschlagsmöglichkeit. Normalerweise zwei Monate vor dem Parteitagstermin, allerdings auch „aus der Mitte des Parteitages“ heraus in Form von so genannten Initiativanträgen. Zudem dürfte das aktuelle Such-und-Find-Verfahren die Möglichkeit gemäß § 3 (6), vierter Satz der Statuten, „Personalvorschläge von Ortsvereinen für das Amt des oder der Parteivorsitzenden und des Kanzlerkandidaten oder der Kanzlerkandidatin sind nur gültig, wenn sie von mindestens drei Ortsvereinen unterstützt werden.“, nicht aushebeln.

Es ist somit durchaus möglich, dass wärend des Parteitages im Dezember 2019 zusätzliche Kandidat*innen für den Parteivorsitz in den Ring steigen, die das gesamte Such-und-Find-Verfahren im Vorfeld gar nicht durchlaufen haben. Dies insbesondere dann, wenn aus dem Kreis der regulären Bewerber*innen am Ende des Mitglieder-Votums ein Zweier-Team oder eine Person nicht mit deutlichen Mehrheit hervorgeht. Und danach sieht es derzeit aus. Im müde gewordenen Basis-Lager der rund 440.000 SPD-Mitglieder ist eine Präferenz für dieses oder jenes Personal-Portfolio nicht erkennbar. So ziemlich jeder und jede Bewerber*in erfährt allgemeine Zustimmung und Ablehnung im gleichen Maß - je nachdem zu welchem Flügel oder zu welcher Denkrichtung sich das einzelne Ortsvereinsmitglied zugehörig fühlt. Auf dem Parteitag im Dezember 2019 könnte es also noch mal ordentlich Stimmung geben.

Der oder die Retter*in in der Not ist (noch) nicht erkennbar. Nach wie vor steht jeglicher Wunsch nach einem Neuanfang immer noch am zaghaften Anfang ohne erkennbares Zucken und Rucken in diese oder jene Richtung. Und ein Fehler in den Köpfen begleitet den Gesamtprozess zusätzlich - die Frage nach der Kanzler-Tauglichkeit der aktuellen Bewerber*innen um das Amt des Parteivorsitzes.

Anstatt sich wirklich auf das zu konzentrieren, worum es eigentlich geht, nämlich zunächst einmal die Partei wieder auf den Boden der Geschlossenheit, Gemeinsamkeit und einer perspektivisch tauglichen und verlässlichen Programmatik zu stellen - phantasiert man schon wieder ins Blaue hinein und überlegt, wer der SPD im Hinblick auf die Bundestagswahl 2021 wieder mehr Prozente ins Kontor einfahren könnte. Mit dem sozialdemokratischen Körper am Boden liegend und den eigenen Niedergang beklagend, rettet man sich vorschnell in geistige Höhenflüge - der nächste Gott-Kanzler soll kommen.

„Die Chance, stärkste Partei zu werden, ist bei der nächsten Bundestagswahl deutlich größer als in vielen Jahren zuvor“, sagte Olaf Scholz Anfang Juni 2019 noch vor seiner Bewerbung um den Parteivorsitz. Rund eineinhalb Jahrzente einer kontinuierlichen Talfahrt der SPD im Falle der Wählerzustimmung sollen demnach binnen zwei Jahren von heute an umgedreht werden und im Herbst 2021 zu einem Ergebnis mit 30% plus X führen? Kaum denkbar. Laut Scholz liegt die Chance auch darin, dass erstmalig seit Erfindung der Bundesrepublik, im Jahr 2021 keine Partei (sprich die CDU / CSU) mit einem Kanzler-Bonus ins Rennen geht. Aha - so betrachtet herrscht personelle 'Waffengleichheit'.

Und es herrscht scheinbar auch in der SPD die Annahme, dass die etwas schwach im Sattel sitzende Annegret Kramp-Karrenbauer als Partei-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Kanzler-Kandidatin werden wird. Fragen der militärischen Sicherheit träfen dann im Wahlkampf auf Fragen der sozialen Sicherheit - was wäre das für ein schönes Geschenk für die Sozis. Doch auch in der CDU / CSU weht längst der Wind der Basis-Beteiligung und so kann man mit der alten Formel - Parteivorsitz gleich Kanzler-Kandidatin - nicht mehr rechnen. Am Horizont lauert Armin Laschet, Julia Köckner rappelt sich als Ministerin gerade wieder auf, Friedrich Merz schläft nicht und irgendwie wollen ja auch die CDU-Granden im Osten der Republik mehr mitmachen dürfen als bisher. Außerdem - GroKo geht jetzt auch mit schwarz-grün.

Mit der Bewerbung von Olaf Scholz hängt die Latte für alle anderen Bewerber*innen nun ziemlich hoch. Auch er befürwortet eine Doppelspitze, sucht aber noch nach einer geeigneten Team-Partnerin. Hat sich Gesine Schwan zu schnell auf Ralf Stegner festgelegt? Muss gar Katarina Barley in Brüssel schon wieder ihre Wohnung kündigen? Oder sind am Ende die Tipp-Fehler von Franziska Giffey doch nicht so schlimm?

Eines ist für alle Bewerber*innen jetzt schon klar absehbar - die ab Anfang September 2019 anlaufende Dialog-Tour durch 23 Veranstaltungshallen in der Republik wird von einem Super-Thema beherrscht werden - Verbleib in der GroKo bis zur Bundestagswahl 2021 oder raus aus der GroKo vor der Zeit, sprich zum kommenden Jahreswechsel. Denn das allseits vollmundig angekündigte Tabula-Rasa-Gespräch zwischen den aktuellen GroKo-Parteien zur Halbzeit der laufenden Legislaturperiode, es fällt auf Ende September 2019. Bis Anfang Oktober 2019 läuft die Dialog-Tour der Bewerber*innen, am 14. Oktober 2019 startet die Mitglieder-Befragung. Verlauf und Ergebnis dieser Halbzeit-Verhandlungen wird das Meinungsbild und auch den Grad des Blutdruckes der Genoss*innen Land auf Land ab wesentlich mitbestimmen bei ihren Basis-Entscheid zur Wahl des Parteivorsitzes.

Aus diesen Zeitfenstern ergibt sich für Olaf Scholz ein Vorteil im Sinne seiner Ambitionen als klarer GroKo-Befürworter, amtierender Finanzminister und perspektivischer Kanzler-Kandidat. Mit einer noch zu findenden Team-Partnerin mit Format könnte er, wenn es beide klug anstellen, seine Hand an der Wiege der Macht in der GroKo sichern, ausbauen und sozialdemokratisch weiter mitregieren. Zugleich müsste der ebenso wichtige Bereich mit Erneuerungsaufgaben der Partei auf die Team-Partnerin entfallen. Stimmt die Chemie, stimmt die wechselseitige Abstimmung untereinander, in Richtung Partei-Basis und in Bezug auf teilweise disharmonierende Flügel und Gliederungen in der Partei, wäre Erneuerung innerhalb der GroKo machbar. Und als dritte Größe - das wird zwangsläufig nach der Wahl des Parteivorsitzes und ggf. Veränderungen im Parteivorstand zum Jahreswechsel 2019 / 2020 kommen - gilt es eine/n neuen Fraktionsvorsitzende/n zu küren.

Wenn es gut läuft, ist dann ab Januar 2020 erst mal wieder mehr Ruhe in den eigenen Reihen - aber keine Zeit zum Ausruhen. Programmatisch muss etwas geboten werden zu den Themen der Zeit - Klima, digitalisierte Arbeitswelten, Lohnpolitik, Mietsituation, schwarze Null mit Sparkurs oder moderate Neuverschuldung, Pflege u.v.m. Es muss wieder ein umfassendes sozialdemokratisches Agenda-Konzept auf den Tisch am Beginn der 20er Jahre des 21. Jahrhunderts. Und zwar cito. Ob das mit Olaf Scholz im Team mit einer Partnerin im höchsten Parteiamt klappen könnte, bleibt fraglich derzeit. Die sprichwörtliche Butter bei die Fische könnte es während der Bewerber*innen-Tour im Zuge des September 2019 geben, wenn Scholz und seine Partnerin in Spe mit klaren Konzepten die Hallen rocken und sich nicht im mittlerweile üblichen Heulsusen-Modus der Sozis verlieren.

Wer nicht lächeln kann, der soll keinen Laden aufmachen, so endete Sigmar Gabriel seine Rede auf dem Dresdner Parteitag 2009, als der Niedergang der SPD seit 2005 bereits voll am Laufen war. Gabriels damalige Appelle hatten viel Applaus aber kaum Umsetzung in der SPD gefunden. Man ist noch immer zu sehr die Hinterzimmer-Partei, in der altgediente Silver-Surfer*innen vor einem Käthe-Kollwitz-Poster auf vergilbter Muster-Tapete an gedreckselten Holztischen mit Stick-Tischdeken die Welt weiterhin mit Antworten aus Willy Brandts Zeiten erklären wollen. Und zwar ohne Laptop, sondern mit 1.001 und einem Spiegelstrich auf 100 Seiten Positionspapier. Willy Brandt - wäre er heutzutage politisch aktiv und mitten im Geschehen, würde wahrscheinlich auch täglich twittern und eben Antworten auf der Höhe der Zeit bezüglich neu gestellter Fragen suchen und auch finden.
Sei es drum - im Hier und Jetzt muss man mit dem arbeiten, was man hat. Und so ist es jetzt andersherum, als es Sigmar Gabriel vor 10 Jahren wünschte. Erst muss der Laden wieder laufen, an und mit der Basis, in den Gliederungen und gegenüber der Öffentlichkeit - und erst danach fängt der "Scholzomat" an zu lächeln.

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