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Hält doppelt besser? SPD sucht neue Wege (Teil 2) · Such und Find

Aus Sicht der SPD gilt das aktuelle Such-und-Find-Verfahren für den Parteivorsitz zunächst einmal als Akt zur Stärkung der innerparteilichen Demokratie. Mehr Beteiligung der Mitglieder an der Basis, mehr Transparenz in den Entscheidungsvorgängen und wieder mehr Debattenkultur in Personal- und Programmfragen. Raus aus den Hinterzimmern und den Kungelrunden und rein mitten ins Leben - so der allgemeine Ruf in den Sozi-Reihen im Falle derartiger Beteiligungsverfahren. Es lebe die Mitmach-Partei. Und je mehr Menschen mitmachen, je größer die Beteiligungsbandbreite - so die hoffnungsvolle Absicht - umso fruchtbarer könnte sich dann auch eine insgesamte Erneuerung der SPD auf der Höhe der Zeit der alsbald beginnenden 20er Jahre des 21. Jahrhunderts bewerkstelligen lassen. Neue Besen kehren gut. Mag sein, aber auch sie nutzen sich irgendwann ab beim Fegen durch Haus und Hof der wahrlich nicht homogenen Gliederungen der SPD auf Landes-, Stadt- und Dorf-Ebene.

Ob Doppelspitze oder Einzelperson auf dem Führungssessel - es geht um den Zusammenhalt des Ganzen, um eine gemeinsame Stoßrichtung alller Beteiligten und damit einhergehend, um eine inhaltliche und konzeptionelle Neu-Ausrichtung der SPD in heutiger Zeit und für die nahe Zukunft.

Die sozialdemokratiche Substanz ist nach wie vor da, aber die chemische Mixtur der gesellschaftspolitischen Komponenten dessen was den demokratischen Sozialismus als gut gemixten Cocktail ausmacht, ist inzwischen mißraten und kaum noch servierbar. Vor und hinter der Bar ist der Wurm drin. Die SPD schmeckt nicht mehr. Und nicht erst seit jüngsten Tagen, als Andrea Nahles fluchtartig davon lief.

Wer sich aktuell durch die Medien wühlt und nach Antworten auf Fragen bezüglich des bisherigen Sein oder drohenden Nichtsein der SPD sucht, kann auf die Rede eines Sozialdemokraten treffen, die mit diesen Worten endete: „Ganz zum Schluss, weil ich weiß, dass Politiker - vor allen Dingen Sozialdemokraten - gerne gramgebeugt von der Last ihrer Arbeit durch die Lande laufen: Ich glaube, die Leute wollen etwas anderes. Sie wollen auch Optimismus und Tatkraft. Denkt deswegen immer an ein chinesisches Sprichwort: Wer nicht lächeln kann, der soll keinen Laden aufmachen. - Lasst uns ordentlich Läden aufmachen in Deutschland.“

Als Sigmar Gabriel am 13. November 2009 auf dem SPD-Parteitag in Dresden nach der verlorenen Wahl mit Frank-Walter Steinmeier als Kanzler-Kandidaten seine Rede (mit dem oben erwähnten Schlusssatz) hielt - nicht nur zur eigenen Kandidatur um den Parteivorsitz, sondern vor allem auch als Einstimmung auf die damals kommende Opositionsarbeit gegenüber dem Kabinett Merkel II - da war der richtige Zeitpunkt, das SPD-Erneuerungsprojekt in Angriff zu nehmen, beharrlich zu betreiben und mittelfristig durchzuziehen. Die Angebote waren damals vielfacht gemacht worden. Noch eine Zitat-Passage aus der damaligen Gabriel-Rede:

„Die Wählerinnen und Wähler haben uns nicht mit 23 Prozent nach Hause geschickt, damit wir sofort danach zuerst darüber nachdenken, wie wir uns in scheinbar geeigneten Konstellationen mit anderen Parteien wieder zurück an die Macht schleichen können. Die wollen nicht, dass wir über andere nachdenken, sondern sie wollen, dass wir über uns selbst nachdenken. Genau das werden wir tun, liebe Genossinnen und Genossen.“

Und ewig grüßt das Murmeltier. Die damals 2009 vor dem Hintergrund des 2007 beschlossenen Hamburger Programms erhoben Forderungen zur Erneuerung der SPD im Inneren, wurden vielfach umgesetzt. Öffnung der Ortsvereine durch mehr Einbeziehung der Bürger*innen vor Ort, mehr Appelle auch an sympathisierende Menschen und Gruppierungen ohne Parteibuch, sich für oder in der SPD zu engagieren, die Etablierung von Partei-Kovents als öffentliche Diskussionsplattformen, Etablierung von so genannten Arbeitsparteitagen einmal im Jahr als Ergänzung zu den notorisch nötigen Parteitagen per Statut, Förderung von Kandidaturen insbesondere auf Kommunal- und Landes-Ebenen von jüngeren Mitglieder*innen, ohne das diese erst ewig lang als „Parteisoldat*innen“ gediehnt haben müssen, unter Stichworten wie z.B. jung - weiblich - migrantisch sowie mehr Einbeziehung der Mitglieder*innen bei Entscheidungen über richtungsweisende Fragen der Parteiarbeit, auch auf parlamentarischer Ebene.

Dies und noch mehr ist längst verwirklicht in der Mitmach-Partei SPD. Doch es macht kaum mehr jemand mit. Und schon gar nicht mit Freude und Begeisterung. Man bleibt gramgebeugt, beklagt sich selbst und betreibt unablässig Agenda-Bashing innerhalb der eigenen Partei-Gliederungen. Viele treten nur taktisch punktuell in die Partei ein - und dann schnell wieder aus, wie z.B. zu Zeiten des „Verbindlichen Mitgliedervotums“ zur Entscheidung darüber, ob die SPD mit CDU/CSU eine große Koalition bilden soll bzw. den ausgehandelten Koalitionsvertrag unterzeichnen soll?

Oder man liefert sich Online-Schlachten voller Anfeindungen, wie jüngst in Baden-Württemberg, wo die digital-affine Juso-Jugend in manipulatorischer Absicht illegal auf Datenbanken der Partei zugriff, um gezielt Mitglieder-Beeinflussung in der Auseinandersetzung zwischen Leni Breymaier und Lars Castellucci im Rennen um den Parteivorsitz der SPD im Ländle vorzunehmen. Ein Neufindungsprozess, unterfüttert mit Straftatbeständen gewissermaßen. Als alles aufflog gab es für einige beteiligte Jusos auch verhängte Strafen. Doch noch mehr gestraft und beschädigt waren die Sozis im sprichtwörtlichen Musterländle am Ende insgesamt. Nicht Breymaier oder Castellucci erreichten mit ihren jeweiligen Gefolgschaften ihr Ziel, sondern Andreas Stoch wurde schließlich mit dünner Mehrheit von acht Stimmen zum Landesvorsitzenden gewählt.

Echte neue Impulse sind in der SPD landauf, landab nicht erkennbar, stattdessen zerflügelt man sich innerparteilich immer mehr. Waren bisher der rechtsflügelige Seeheimer Kreis und das linksflügelige Forum Demokratische Linke verlässliche Pole innerparteilicher Polarisierung, tummeln sich daneben noch die so genannten Netzwerker und seit jüngstem formieren sich allerlei Gruppierungen wie die Kühnert-Kämpfer, das Schulz-Schwadron, die Giffey-Gemeinde und last but not least eine Art Club der alten weißen Männer die - wenn den Autor nicht alles täuscht - am Recall für Sigmar Gabriel arbeiten oder Stefan Weil bekneten oder Boris Pistorius positionieren wollen (im letzten Fall aber nur dann, wenn vorher Doris Schröder-Köpf ihrem Ex-Mann seinen Nachnamen zurückgibt).

Das aktuelle Such-und-Find-Verfahren wird diese gruppendynamische Situation des gemeinsamen Uneins wahrscheinlich noch weiter beflügeln. Neben dem derzeit hoch und runter geschrieben Lieblingsteam des Feullietons, Kevin Kühnert / Gesine Schwan - quasi Harold & Maud reloaded - haben sich ernsthaft bisher nur zwei Zweier-Team als Bewerber*innen um den Parteivorsitz gemeldet. Die frühere Familienministerin aus Nord-Rhein-Westfalen, Christina Kampmann und der aktuelle Europa-Staatsminister in Hessen, Michael Roth sowie die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer im Duo mit Karl Lauterbach, SPD Fachmann für Gesundheitspolitik und stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender. Ausschreibungstechnisch bringt allerdings bisher nur das Team Kampmann / Roth die jeweils nötigen fünf Unterbezirke als geforderte Unterstützer hinter sich. Zusätzlich geistert durch die Gazetten, das sich auch Svenja Schulze, aktuelle Bundesumweltministerin, der derzeitige Außenminister Heiko Mass sowie Franziska Giffey (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) bewerben könnten. Und der 79-jährige Bundestagsabgeordnete Hans Wallow will sich laut DPA-Meldung auch um den Parteivorsitz bewerben.

Noch ist es mangels weiterer Kandidaturen zu früh das gesamte Verfahren zu kommentieren und vor allem inhaltliche Positionen aufzugreifen und zu diskutieren. Nur Namensnennungen, Raus-aus-der-GroKo-Rufe und ein allseits heftiges tröten auf der Klima-Posaune reichen dazu nicht aus. Und so heißt es - geduldig bleiben und schauen was demnächst so alles passiert. Eines ist allerdings jetzt schon klar im Zuge des personalpolitischen Klimawandels innerhalb der SPD und muss deutlich ausgesprochen werden. Die so genannte Beck’sche Wetterwarnung.

Egal wer am Ende für das Amt des / der Parteivorsitzenden ganz oben auf allen Zetteln steht und möglicherweise weitere Ambitionen in Richtung Kanzlerkandidatur 2021 entwickelt - ab November 2019 in den Wochen vor dem Bundesparteitag gilt es bei Besuchen von möglichen Sondierungstreffen Spaziergänge mit SPD-Führungspersönlichkeiten rund um nahegelegne Gewässer am Tagungsort zu meiden. Denn der Schwielowsee ist überall.

Lesen Sie hier Teil 3 dieser Artikel-Serie >

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