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Plitsch-Platsch · Teil 1 · Eine Expertise schwimmt sich frei

„Die DLRG hat angesichts von mehr als 400 Ertrunkenen im vergangenen Jahr eindringlich für mehr Kinder-Schwimmkurse plädiert und vor weiteren Bäderschließungen gewarnt. "Wir haben in den letzten zehn Jahren 1100 Bäder verloren für die Ausbildung", sagte DLRG-Präsident Klaus Wilkens am Donnerstag in Hamburg.“

Dieser zitierte Einstiegssatz des damaligen DLRG-Präsidenten entstammt einem Artikel in der WELT vom Mai 2012 (sic!). Konnten Ende der 1980er Jahre noch rund 90 Prozent aller Viertklässler (damals in Westdeutschland) schwimmen, waren es im Jahr 2012 gesamtdeutsch nur noch 70 Prozent. Aktuell heißt es in diversen DLRG-Statements sogar, dass mitlerweile nur noch ca. 40 Prozent der Kinder im Grundschulalter gut schwimmen können und somit rund 60 Prozent nicht. Das Kernproblem ist also seit langen Jahren bekannt - Deutschland droht zur ‚Nichtschwimmernation‘ zu werden.

Seit Beginn 2019 hat sich eine Diskussion um den so genannten „Bäderentwicklungsplan 2030“ für Stuttgart entfacht. Dieser städtische Plan zur zukünftigen Betreibung und Nutzung der Stuttgarter Schwimmbäder (unberührt der Situation der Mineralbäder) fußt auf einer Evaluierungsstudie der PROFUND Consulting GmbH und behandelt im Wesentlichen die Thematik des Schwimmenlernens und Schwimmsports für Kinder und Jugendliche - und dies im engen Zusammenhang mit der Schwimmbäder-Nutzung durch Vereine und Schulen. Hierzu heißt es im Berichtspapier „Neues Belegungs- und Öffnungszeitenkonzept in den Stuttgarter Hallenbädern“ des Consulting-Unternehmens PROFUND und der Bäderbetriebe Stuttgart, welches am 31.01. 2019 den Bezirksbeiräten vorgestellt wurde, sehr klar und deutlich unter Punkt 21, 3.) als zukünftige Anforderung bzw. Handlungsvorschläge:

„Neues Belegungs- und Öffnungszeitenkonzept in den Stuttgarter Hallenbädern mit dem Ziel, die Belegungszeiten für Schulen und Vereine auszudehnen um das angestrebte Ziel der Verbesserung der Schwimmfähigkeit von Kindern und Jugendlichen jetzt und in Zukunft zu erreichen.“

Eben in dieser Zielsetzung besteht der Kernansatz der Studie des externen Berater-Unternehmens und somit wird in einem 21-seitigen Berichtspapier detailliert dargestellt, wie das Ziel zur Verbesserung der allgemeinen Schwimmfähigkeit - dabei insbesondere bei Kindern und Jugendlichen - erreicht werden kann bzw. wie dem weiter erkennbaren Trend der Schwimm-Unfähigkeit in der Bevölkerung entgegengewirkt werden kann.

Infolge der seitens des Berater-Unternehmens, der Stuttgarter Bäderbetriebe sowie weiterer Akteure im Schul- und Vereinswesen vorgeschlagenen und Ende Januar 2019 vorgetragenen Maßnahmen zur Ausweitung und Verbesserung der Schwimm-Angebote von Schulen und Vereinen durch erweiterte Nutzungs- und Belegungszeiten in den Hallenbädern, geriet die dritte Gruppe - die allgemeine Öffentlichkeit als Hallenbad-Nutzer planungstechnisch ins Hintertreffen. Auch „Otto und Anna Normalnutzer“ haben diverse Ansprüche hinsichtlich schwimmsportlicher Betätigungen, an frühkindliches Schwimmenlernen mit der Familie oder an das ebenso legitime Bedürfnis der Freizeitgestaltung durch simplen Badespaß. Und last but not least ist auch die Zahl älterer Menschen sowie Menschen mit Handicaps nicht zu vernachlässigen, die sich aus medizinisch-gesundheitlichen Gründen durch kontinuierliches Schwimmen und andere Aktivitäten im Wasser fit halten wollen oder gar sollen und müssen.

Die durch die PROFUND Consulting GmbH erstellte Studie - bertachtet man sie um Objektivität bemüht - schlägt zunächst Maßnahmen infolge Evaluierung und Analyse vor - Handlungsvorschläge eben. Auch die grundsätzliche Frage der Wirtschaftlichkeit einzelner Schwimmbäder kommt dabei auf den Prüfstein und es wird empfohlen, weitere zwei Hallenbäder (Hallenbad Heslach und Leo-Vetter-Bad in Stuttgart-Ost) während der Sommersaison für die öffentliche Nutzung zu schließen, sodass dann in der Sommer- bzw. Freibad-Saison ab 2020 nur noch zwei Hallenbäder (Zuffenhauen und Sonnenberg) geöffnet wären.

In den städtischen Beteiligungsberichten von 2002 bis 2017 sind alle Besucherzahlen der Bäder gelistet. Die Auswertung der veröffentlichten Zahlen zeigt genau das, was auch die Expertise von PROFUND teilweise zum Ausdruck bringt - die gesammten Besucherzahlen in den Stuttgarter Bädern sind in einem 16-jährigen Zeitraum kontinuierlich rückläufig (berücksichtigt sind dabei auch die sanierungsbedingten Schließungen einiger Bäder in diesem Zeitraum). Die Ausnahme gegenüber dem Abwärtstrend bilden die Freibäder. Hier sind die Besucherzahlen - eingedenk von jährlichen Schwankungen zwischen sehr heißen und weniger heißen Sommern - auf der Strecke von 2002 bis 2017 recht stabil und weisen weder nennenswerte Zuwächse noch Abnahmen auf.

Die Besucherzahlen in den Freibädern schwanken je nach jährlichem Sommerwetter zwischen ca. 550.000 und 880.000 Besuchern pro Jahr und erreichten im „Jahrhundertsommer“ 2003 einen Spitzenwert in Höhe von knapp 1,2 Mio. Im Jahresdurchschnit besuchten knapp 680.000 Gäste pro Jahr die Freibäder; ein Durchschnittswert der annähernd auch 2017 mit rund 630.000 Gästen erreicht wurde.

Anders ist die Situation im Falle der Hallen- und Mineralbäder. Beide Angebotsformen verzeichnen Besucherrückgänge, wenn auch über den 16-jährigen Zeitrum hinweg teilweise schleichend.

Durchschnittlich von 2002 bis 2017 besuchten ca. 861.000 Gäste pro Jahr die Hallenbäder. In den Jahren 2010 bis 2012 zogen die jährlichen Besucherzahlen in Richtung der Neunhunderttausend-Marke zwar an, fielen danach jedoch stetig und erreichten 2016 ihren Tiefstwert mit knapp 700.000. Im Jahr 2017 war mit gut 750.000 Besuchern wieder ein leichter Aufwärtstrend zu verzeichnen. Gegenüber dem Jahresdurchschnitt von 861.000 Besuchern während des zurückliegenden 16-Jahre-Zeitraums ist derzeit allerdings ein kumulierter Besucherschwund von rund 150.000 Gästen über 16 Jahre hinweg seit 2002 festzustellen.

Ebenfalls kontinuierlich rückläufig sind die Besucherzahlen der Mineralbäder im zurückliegenden 16-Jahre-Zeitraum, auch unter Berücksichtigung temporärer Schließungen wegen Sanierungsarbeiten). Während dieses Zeitraums besuchten ca.1,1 Mio. Besucher im järlichen Durchschnitt die drei Stuttgarter Mineralbäder; 17,5 Mio. im Zuge von 16 Jahren. Im Zeitraum 2002 bis 2009 waren die Mineralbäder insgesamt für über 1 Mio. Besucher jährlich gut, in den Jahren 2006 bis 2009 jedes Jahr mit 1,2 bis 1,3 Mio. Besucher. Danach - nachdem dem die vormals getrennten Bäder-Betriebe - Mineralbäder hie, Hallen- und Freibäder dort - zum Eigenbetrieb Bäderbetriebe Stuttgart (BBS) im Jahr 2009 zusamengelegt wurden, begann der Besucherschwund. Nur noch gut 850.000 Besucher wurden 2017 in den drei Mineralbädern gezählt. 250.000 weniger, als im Vergleich zum jährlichen Durchschnitt über 16 Jahre hinweg (1,1 Mio.).

Bishierher lässt sich festhalten, dass sich die Stuttgarter Freibäder großer Beliebtheit erfreuen, ein relativ stabiles und verlässliches Besucheraufkommen zeigen, dessen Schwankungsbreiten von Jahr zu Jahr fast nur durch mehr oder weniger heiße Sommertemperaturen hervorgerufen werden. Ein abnehmende Beliebtheit - die Besuchernachfragen zeigen es - verzeichnen über Jahre hinweg die Hallen- und Mineralbäder. Der Besucherrückgang in den Bäder-Bereichen insgesamt ist allerdings nicht so dramtisch zu bewerten, dass in einer Art Paukenschlag-Ankündigung weitere Hallenbäder in der Sommer-Saison gänzlich geschlossen werden müssten und damit zugleich der allgemein öffentliche Bedarf der Teilhabe am Bäder-Angebot unverhältnissmäßig stark gegenüber den - durchaus wichtigen Schul- und Vereinsinteressen - eingeschränkt werden soll.
Die Sicherung der allgemeinen Daseinsvorsorge ist eine gesamtgesellschaftliche Anforderung und erfordert im Falle dieses „Bäderentwicklungsplans 2030“ eine deutlich ausgewogenere Umsetzungsstrategie, als sie derzeit kursiert und diskutiert wird. Insbesondere die Bürgerschaft (wobei es hier natürlich Überschneidungen oder Schnittmengen der einzelnen Gruppen gibt) muss nun - neben den institutionalisierten Anhörungen und Vorfeld-Diskussionen mit Schulamtsvertretern (SVA) und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Schwimmsporttreibender Vereine (AGS) - als gewissermaßen dritte Größe deutlicher angehört und in die zukünftigen Planungen mit einbezogen werden.

Hierzu reicht es auf der politischen Ebene nicht aus, dem bisherigen Evaluierungs- und Planungskonzept der PROFUND Consulting GmbH (das durchaus als profunde Studie verstanden werden kann) eine durchbuchstabierte Beschlussvorlage (Gemeinderatsdrucksache 1008 / 2018) beizufügen, die nun erst nach der Kommunalwahl, am 04. Juli 2019 (war ursprünglich für den 29. März 2019 anberaumt) zur Beschlussfassung auf der Tagesordnung steht. Auch die terminierte „Beratungsphase“ mit Bezirksbeiratsvertretern - im Grunde die schon oben so genannte Paukenschlag-Ankündigung - (erst) am 31.01. 2019 , muss eher als ein taktisch verzögertes Timing aus der Rathausverwaltung verstanden werden, denn als ein echter Beratungsprozess mit den Bezirken.
Erst nach dem Januar-Ende 2019 erhielten die jeweiligen Bezirksbeiräte vor Ort die Möglichkeit, sich eingehender mit der Materie in ihren Sitzungen ab Februar-Beginn 2019 zu befassen. Kein Wunder also, dass sich seit dem mehr als nur Unmut in den bezirklichen Gremien sowie in der Stuttgarter Bevölkerung breit macht. Letztendlich auch deshalb, weil die Kommunikation aus den Rathaus-Tagen in Richtung Bürger*innen im Vorfeld äußerst spärlich und mit kaum erkennbarem Willen zur Beteiligung bzw. Einlassung geschah.
Die Gesamtproblematik ist bereits seit gut zwei Jahren bekannt. Schon im Sommer 2016 wurde die derzeit hitzig diskutierte Frage der Effizienz bei der Gesamtnutzung der Stuttgarter Bäder-Betriebe erkannt und die nun vorliegende Studie als Grundlage eines "Bäderentwicklugsplan 2030" auf den Weg gebracht.

Lesen Sie auch Teil 2 des "Plitsch-Platsch-Artikels" >

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